Zwei Originalzeichnungen von Willi Steinert – Sozialdemokratische Tourismus-Kritik aus den Zwanziger Jahren

Willi Steinert: Nordlandreise. „Von den angenehm kühlen Temperaturen haben wir noch nix merkt“(Reinzeichnung für den ‚Wahren Jakob‘) o.J. (20er Jahre).  Tusche und Aquarell auf leichtem Karton, 35 x 26,5 cm, rechts unten monogramiert. Verso in Bleistift beschriftet und mit Redaktions-Stempel des „Wahren Jakob“. Unter Passepartout montiert (50 x 40 cm), sehr guter Zustand. (verkauft / sold)

Willi Steinert: Von der Wasserkante: „Macht Ihr zu Hause dieses Jahr keine Schweine fett, Greta?“ / „Nä, wir nehmen lieber Sommergäste, das macht nich soviel Arbeit.-“ Kohle / Bleistift, weiss gehört, auf leichtem Karton. Format 26 x 23 cm, mit altem Papierpassepartout, neu montiert unter Passepartout 50 x 40 cm. Rechts unten zweimal von Hand signiert, einmal auf dem Blatt selbst, dann noch auf dem Papierpassepartout. Dort auch mit Adreßstempel Steinert, der damals also in der Leibnizstr. 86 in Berlin-Charlottenburg lebte. Verso in Bleistift betitelt, aber durchgestrichen Sehr guter Zustand. EUR 250,-

Biographische Angaben zu Willi Steinert sind dünn gesät, laut Friedrich-Ebert-Stiftung sei er Jahrgang 1886 und Bergmann gewesen, habe aber nach einem Arbeitsunfall den Beruf gewechselt und sei dann also Karikaturist geworden. In seinem 1930 bei Ullstein erschienenen Buch „Seebär – ahoi! Seltsame Geschichten und Abenteuer des Seefahrers Willi Steinert“ (mit einem Vorwort von Ehm Welk, Abb. siehe unten)  dagegen heißt es, er sei erst Maler (Kunstmaler? Anstreicher?) gewesen, dann gegen den Willen des Vaters zur See gefahren. Aber das kann natürlich Seemansgarn sein. Dazu passen würde aber, dass er für den List Verlag Kiplings „Fischerjungs“ illustriert hat (1930). Eine dritte Spur führt nach Breslau, wo 1932 in von Steinert mitillustriertes Buch oberschlesischer Humoresken erschien (vgl. unser Onlinebestand: P.W. von Marienburg: Flimmergold.  Humoresken mit lustigen Bildern von Willi Steinert und Waldemar Görnitz. Wahlstadt-Verlag, Breslau) – wieso Breslau? Fakt ist aber, dass Steinert beginnend im Kaiserreich und dann die Weimarer Republik durch zahlreiche Karikaturen für sozialdemokratische Satireblätter schuf, also für den „Wahren Jakob“, zeitweise umbenannt in „Lachen links“, und auch für den „Ulk“. Ein Sterbedatum ist nicht bekannt, bei eART wird noch ein Berufsverbot während des NS angeführt, kaum überraschend, betrachtet man die etwa im Wahren Jakob erschienenen Anti-Nazi-Karikaturen. Sicher ist aber, und hierfür können diese beiden Originalzeichnungen als Beleg gelten, dass Steinert ein Könner war, der sicherlich weiteren Recherchen und Würdigung verdienen sollte.

Interessant erscheint mir bei den beiden hier gezeigten Blättern der kritische Bezug auf den Tourismus, einmal mit Stoßrichtung auf die Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten, zum anderen auf die ökonomistische Verrohung – hier von Angehörigen der Mittelschicht – in entsprechenden Landstrichen oder Ortschaften. Das hat doch eine gewisse Frische und verweist darauf, dass der Tourismus, seit es ihn gibt, auch immer Kritik hervorgerufen hat. Heute allerdings wäre hierzu noch manches zu ergänzen, hat sich doch der Tourismus für die Bewohner und Bewohnerinnen ganzer Städte und Landstriche als die Geißel des 21. Jahrhunderts erwiesen. Heute hat es ja den Anschein, also ob der Tourismus (als spezielle Ausprägung einer umfassenden Amüsier-Industrie) gerade in „strukturschwachen“ Städten und Regionen das einzige sei, mit dem überhaupt noch sinnvoll wirtschaften sei…

Ein kurzer Blick in „Seebär – ahoi!“ zeigt klassisches Seemannsgarn, phantastische Begebenheiten, bei denen Gin und andere Spirituosen sozusagen immer an Bord sind. Inwiefern letzteres Steinert gut bekommen ist darf bezweifelt werden, hatten wir doch mal ein drittes Blatt von ihm, das in zahlreichen kleinen Szenen die Tücken des Teufels Alkohol verdeutlicht. (Das ist aber schon weg) Dazu enthält das Buch eine Fülle von Illustrationen, von denen manche aber, etwa die zu in Afrika spielenden Geschichten, heute vielleicht so nicht mehr erscheinen würden. Andererseits geht es z.B. bei der ersten Geschichte auch um einen Streik der schwarzen Stauer, was ja wieder schön sozialdemokratisch ist.  Typisierungen scheinen aber sowieso ein Grundproblem gezeichneter Satire zu sein. (Das wäre mal eine Frage an die Profis…)

Willi Steinert: Seebär – ahoi! Seltsame Geschichten und Abenteuer des Seefahrers. Ullstein, Berlin 1930.

Stempel (rückseitig, Blatt 1)

Detail (Blatt 2)